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Prof. Dr. Dominique Rauch

Warum Sprachbildung für Flüchtlinge so wichtig ist – ein Gespräch mit Prof. Dr. Dominique Rauch 

Prof. Dr. Dominique Rauch leitet den Arbeitsbereich „Individuelle Förderung und Migration“ am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt. Die Juniorprofessorin forscht vor allem zur Förderung des schulischen Erfolgs von Kindern mit Migrationshintergrund.

20.9.2016

Welche Rolle nimmt Sprache bei der Integration ein?

Sprache ist für verschiedenste Lebensbereiche wichtig. Denn wenn ich die Sprache meiner Umgebung spreche, habe ich stets mehr Handlungsräume. Sprache kann auch wichtig sein, um die Isolation zu verringern. Es gab an der Universität Frankfurt am Fachbereich Erziehungswissenschaften ein Lehrforschungsprojekt von meiner Kollegin Anne Seifert, bei dem Studierende mit geflüchteten Jugendlichen gearbeitet haben. In den Interviews kam raus, dass die Geflüchteten selber ihre isolierte Situation am belastendsten empfinden. Das wirkt natürlich dann besonders stark, wenn sie in ihren Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Umfeld und der Gesellschaft stark eingeschränkt sind. Dennoch wundert es, dass sich die momentane Diskussion um die Integration der Flüchtlinge so sehr an dem Thema Sprache aufhängt.

Was wird denn in der Diskussion vernachlässigt?

Sprache ist vor allem auch deswegen wichtig, weil sie das Medium für Bildung ist. Denn alles, was beispielsweise in der Schule passiert, ist sprachgebunden. Allerdings ist das erst ein zweiter Schritt. In einem ersten Schritt muss erst einmal die Voraussetzung erfüllt sein, dass Sprache wichtig sein kann. Die Heterogenität, die durch die vielen geflüchteten Kinder und Jugendlichen in die Klassen kommt, ist dabei nicht nur eine sprachliche. Wir sehen eine sehr große Bandbreite an Bildungsniveaus – teilweise sind die geflüchteten Kinder und Jugendlichen auf einem vergleichbaren Bildungsniveau wie in Deutschland, teilweise müssen sie erst alphabetisiert werden. Und auch der Unterschied der Lebenswelten ist enorm. Dennoch müssen diese Kinder und Jugendlichen ihren Weg in das deutsche Bildungssystem finden. Das kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten – Schulleitung, Lehrkräfte, Mitschüler, die geflüchteten Kinder und Jugendliche selber und die Elternhäuser – zum Gelingen beitragen.

Welche Bedeutung hat Migrationshintergrund innerhalb des deutschen Bildungssystems?

Die PISA-Studien haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass sich Deutschland der Frage stellen musste, ob es ein Einwanderungsland ist und wie es damit umgeht. Denn die Studie unterscheidet nicht nach Staatsangehörigkeit, sondern nach Geburtsort der Kinder und deren Eltern. Es fällt auf, dass die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sich nicht nur durch eine weitere Sprache, die zuhause gesprochen wird, kennzeichnet, sondern diese auch einen deutlich geringeren sozio-ökonomischen Status besitzen und eine geringere Bildungsnähe aufweisen. Das spiegelt sich auch in den PISA-Ergebnissen wieder. Jugendliche mit Migrationshintergrund schneiden in Deutschland in allen Kompetenzen immer noch deutlich schlechter ab als solche ohne Migrationshintergrund. Trotzdem gab es in den vergangenen Zyklen deutliche Kompetenzzuwächse, gerade bei den bereits hier geborenen Kindern.

Was können wir daraus für die schulische Entwicklung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen lernen?

In den nationalen PISA Berichten zeigte sich, dass die Herkunftsländer eine Rolle spielen, was die Kompetenzen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund angeht. Es wurden aber immer nur Ergebnisse für die größten Migrantengruppen ausgewiesen: Deshalb können wir so einfach keine Tendenzen für die Entwicklung der aktuell geflüchteten Kinder und Jugendlichen ableiten. Abstrakt betrachtet sind die geflüchteten Kinder und Jugendlichen Schüler der ersten Generation. In Analogie zu anderen Migranten der ersten Generation kann man daher vermuten, dass es große Kompetenzunterschiede gibt. Man muss aber immer aufpassen, was die richtige Vergleichsgruppe ist. Denn die Migrationssituation unterscheidet sich aktuell stark von früheren Einwanderungen. Außerdem muss man auch die unterschiedlichen Ideen von Pädagogik über die Zeit und die Entwicklung von Schule betrachten. Es wird zur Zeit sehr viel getan an den Schulen und ich wäre daher mit einer gewissen Vorsicht optimistisch, dass viele Geflohene bestehende Kompetenzunterschiede vielleicht schneller aufholen als in vergangenen Generationen. 

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